9. Dezember 2016

Nach einem sehr anregenden Gespräch bei Freunden mit lecker selbstgebackenem Apfelkuchen:
„Britta, ich hab da noch einen Text den Simone geschrieben hat, den wollte ich dir gerne mal zeigen.“
Sie gibt mir den Text, ich beginne zu lesen – ja, was ist das denn? Genial – wow, ich seh alles vor mir – zwischendurch muss ich schon mal meiner Begeisterung Ausdruck verleihen – jetzt aber weiterlesen, ja –der Text hat mich voll geflasht.

Ich frage, ob ich die Telefonnummer von Simone bekomme, ich würde den Text gerne auf meiner Inspirationsseite veröffentlichen.

Euphorisch  und mit Telefonnummern ausgestattet radel ich nach Hause.

Nach kurzem hin und her haben Simone und ich uns in der Leitung und mit ihrem „Ja, gerne doch“, hab ich das okay.

Et voilà ein Text von Simone Ohliger:

Der Tag ist gekommen!

Endlich – mein heiß ersehnter Termin beim Jobcenter

Ich komme an um für mich nachtschlafende Zeit, 8 Uhr 30.

Meine“ „Arbeitsvermittlerin“, „-Erstgespräch“- kommt da auch grade an, schließt die Tür auf, ich sage, versuche es frohgelaunt, „ich glaube, ich muss zu ihnen“. Sie betritt das Zimmer, die Tür steht offen, ich sage „soll ich noch mal warten?“. Sie sagt, aus dem Zimmer heraus, etwas ungehalten (vielleicht ist auch für sie nachtschlafende Zeit? Oder es war spät gestern? Oder beides?): „wieso, war´n sie vorher schon hier?“. Ich sage, „nein, ich sagte das nur so“ (wie man das halt so sagt, soll ich hier eben noch mal warten, so was in der Art). Sie sagt, „geht gleich los“. Sie kommt an mir vorbei, ich stehe vor der geöffneten Tür, beugt sich zu einem Schrank, sie hat Blinkschuhe an, faszinierend, blaue blinkende Lichter an den Schuhspitzen; ich denke, ich könnte sie demnächst darauf ansprechen (sie trägt auch, sehe ich später, blau glitzernden Lidschatten, ich sag mal, jedem sein Stil..)

Dann darf ich rein. Sie sagt, „haben sie ihren Ausweis?“ Ich krame meinen Ausweis heraus ( kann ich heute, auch in der „Leistungsabteilung“, noch einige Male tun; selten so häufig meine Identität beweisen müssen, und das an nur einem Vormittag).

Ich denk, sicher, ich kann auch ohne „Hallo“, „Guten Morgen“, „guten Tag“; geht auch so. Sind ja auch eher spießige Konventionen.

Meine“ „Arbeitsvermittlerin“ starrt auf den Bildschirm ihres Computers, klackert auf der Tastatur herum. Ich warte. Sehe mir die Kinder-Welt-Karte an, die an der Wand hängt, Afrika, ein Elefant, Australien, ein Känguru; gegenüber hängt ein Filmplakat, große blaue (!..) Urzeit-Vögel tragen durchtrainierte bunte Menschengestalten auf ihren Rücken. „Meine“ „Arbeitsvermittlerin“ starrt und klackert. Wo lohnt es sich jetzt noch, hinzugucken. Auf ihre Frisur? Auf die im trüben November-grau nicht grad fröhlicher wirkende 70erJahre-Architekur vor dem Fenster? Und überhaupt: fröhlicher als was?

Meine“ „Arbeitsvermittlerin“ greift zum Telefonhörer. „Kannst du Herrn E. hier mal raus tun?.. Wieso?..Nee, das könnt doch nur ihr, da komm ich doch nicht ran…Na, wenn Frau O. doch jetzt hier ist?!..dann kann der doch raus.. ja, danke, bis dann“. Starr starr, klacker klacker. „Aha, sie suchen was im Bereich Buchhändler“. Oh, ich hab fast das Gefühl, sie meint jetzt mich. „Nein“, sag ich, das ist nicht aktuell, ich mach grad eine Weiterbildung zur..“ „Hm“, sagt sie, „als Buchhändler ist ja so gut wie nichts zu finden“. „Ich mach ja auch grad..? „Was?“, sagt sie, und ich hab beinah den Eindruck, ich hab sie erschreckt. „Ich mache gerade eine Weiterbildung im Bereich Kunstgeragogik“.

In was?“ „Ja, witzig, das fragen die meisten Menschen, das ist..“ „Kennen sie die Eingliederungsvereinbarung?“ Ich sage, „äh, ja, schon“. „SOLL ICH IHNEN DAS NOCH MAL ERKLÄREN?“ Sie dreht ihren Drehstuhl in meine Richtung und ändert ihre Körperhaltung.

In diesem Moment spüre ich, mir schwimmen die Felle weg. Ich hatte sie fest halten wollen, nun lösen sie sich aus meinen Händen; ich seh ihnen nach, wie sie sachte flussabwärts zu treiben beginnen. Ich sehe ihnen einfach nur nach und tue gar nichts. „Ja“, sag ich apathisch, „erklären sie mir das“ und fühle mich wie Jack Nicholson in „Einer flog übers Kuckucksnest“, kurz vor Filmende.

Sie beginnt zu reden, redet und redet immer schneller, als würde sie dafür Geld bekommen. „Ja“, sage ich, „und der Rest ist mir auch in etwa klar“. „Gut“, dann sind wir ja soweit durch“, hier unterschreiben, und hier, eins ist für sie. Ich spüre die nicht geschlossene Tür in meinem Rücken und ein starker Magnet zieht mich in diese Richtung.

Eingliederungsvereinbarung: Frau O. – Ziele: Aufnahme einer Beschäftigung am 1.Arbeitsmarkt: Tätigkeit als Buchhändlerin am lokalen Arbeitsmarkt (im Tagespendelbereich)

Es ist das erste Mal, dass ich nicht noch irgendetwas Nettes sage, keinen guten Tag wünsche (das Gegenteil wäre mir näher, ich möchte da jetzt nicht ins Detail gehen; Straßenkreuzung, Laster, kein Notarzt, kein Blau (!..)-Licht, egal jetzt)

Ich weiß nicht mehr, ob ich noch Tschüs gesagt habe.

ENDE