26.April 17

Eine Weihnachtsgeschichte im April?
Warum nicht! Da kann ich das sprießende Grün, trotz Kälte zwischen warmen Sonnenstrahlen, noch viel mehr genießen.

Ich hatte schon eine Geschichte von Simone Ohliger veröffentlicht.
Ihren Stil und die Geschichten find ich einfach richtig gut!

 

Mein schönstes Weihnachten

Erster Teil

(die Teile sind bei Simone nicht vorgesehen – hab ich mir jetzt erlaubt, um eine Vortsetzungsgeschichte draus zu machen)

24.12. Nach Mitternacht (also 25.12.) Bin auf dem Weg nach Haus.

Perlhuhn- und Alkoholgeschwängert, hinter mir gemeinsamer Abend mit Freund
und Freunden (meines Freundes; die ich mittlerweile auch zu den meinigen zähle). Anfang des Abends: Gemütlich; Mitte des Abends: Angenehm;
Ende des Abends: Ein aus Belanglosigkeiten sich entzündender Streit (es ist Weihnachten!), der sich (wenn auch zu einem kleinen, überschaubaren) Flächenbrand ausweitet. Zugang zu den Löschwasservorräten scheint’s fürs erste nicht zu geben – folglich: Abgang.

Fortbewegungsmittel (aufgrund der klimatischen Verhältnisse bedingt einsetzbar): Fahrrad.

Klimatische Verhältnisse: Kälte (verlorene Handschuhe beeinflussen den Wohlfühlfaktor nicht positiv). Mannshohe Schneeberge (das ist übertrieben, aber klingt spannender als: kniehohe), getürmt links und rechts der Bürgersteige, also der Fahrradwege gleichermaßen. Straße: frei.

Ich also (in Schlangenlinien) auf der Autostraße; da sehe ich ein von hinten sich stetig näherndes blau blinkendes Licht. Blau und blauer. Ich denk, vielleicht unter den gegebenen Umständen schlau, abzusteigen, bewege mich Richtung Bürgersteig. Der Polizeiwagen hält neben mir, ein Kopf am offenen Fenster: „Haben Sie getrunken?“ Eine Frage, die ich uneingeschränkt mit „ja“ beantworten kann, tue das auch. „Dann schieben Sie jetzt mal Ihr Fahrrad, zudem haben Sie kein Licht“. Weg sind Sie, fast schneller, als ich’s mir gewünscht hätte. Ich schiebe und fahre und eiere und lege mich in den Schnee. Vor der Haustür angekommen, will ich den Schlüssel aus dem Fahrradschloss lösen, allein, der Schlüssel ist nicht da. Keine Frage, ich suche in allen vorhandenen Taschen, sieh an, auch die Fahrradtasche ist verschwunden, zu verschmerzender Verlust, ich hätte an dieser Stelle mich fragen können, was ist noch da? Meine Person, sie trägt noch ihren Mantel, das Fahrrad, meine Handtasche, der Schlüssel zur Wohnung meines Freundes (Mirakel Mirakel) – aber das frage ich mich nicht.

Technische Erklärung einer – erst recht im Lichte der hier beschriebenen Situation -,

dies Dilemma ausgelöst habenden, mit Recht (ich weiß, ich weiß) hinterfragbaren Angewohnheit: Nachdem ich mein Fahrrad aufgeschlossen habe, stecke ich den Schlüssel, samt Wohnungsschlüssel, zurück ins Fahrradschloss (ein guter Ort, ihn wiederzufinden; ein guter Ort, ihn zu verlieren).

Nun hatte sich in diesem Falle und aufgrund dieser meiner durchaus unharmonischen Fortbewegungsart das Fahrradschloss am Lenker sozusagen auf den Kopf gedreht (Zeichnung?) und der Schlüssel aus diesem gelöst (an welcher Stelle des Weges auch immer!) Da steh ich nu. Fahrrad wenden, schieben, Augen auf den Boden geheftet. Bis zur Wohnung meines Freundes, auf dem Wege: Nichts.

(Zumindest, wenn man grad ausschließlich eines für alles hält). Stell das Fahrrad in den Hausflur, mal gucken, vielleicht ist es ja Morgen noch da, schäl mich aus den nassen kalten Kleidern, der Freund schaut 2 Mal nach mir (in Worten: Zwei Mal), so kenn ich ihn gar nicht. Und es tut mir auch ehrlich leid, dass, als ich unter die Decken schlüpfe, er denken muss, da hat jemand neben ihm grad eine Kühlschranktür geöffnet, nachts um 4, oder das Gefrierfach, und die Stimmung ist nun auch nicht grad besser, nur anders nicht besser als vorher.

Um 8 steh ich wie eine Kerze im Bett, es ist der erste Weihnachtstag, im Halbschlaf denk ich noch, da war irgendwas? Und das erste Wort, das mir einfällt, ist Scheiße, da war was, und ich weiß jetzt auch, was „was“ war. Ich steh auf, wieder rein in den Mantel,

seh meinen Freund aufstehen, die Stimmung ist…, richtig, das hatten wir schon.

Erst mal rauchen. Rauchen entspannt. Dann kommt das Wort das erste Mal: Schlüsseldienst. Nicht von mir. Ich sag, ja, das kann ich ja immer noch sehn, erst mal schauen, mal gucken. Er packt die gelben Seiten auf den Tisch. Schreibt die Nummer eines Schlüsseldienstes auf, drückt mir den Zettel in die Hand. Ja ja, erst mal gucken, mal sehn.

Nächster Schritt: Ein gemütlicher Spaziergang in der frohen Früh-Erster-Weihnachtstag-Sonne. (Später, ich werde nicht da sein, wird meine Mutter bei ihm anrufen, weil sie mich in meiner Wohnung nicht erreicht [ach] und eine schöne Weihnacht wünschen, und wird fragen, na, ward ihr schon draußen bei diesem wunderbaren Wetter, und er wird „ja“ sagen – es gibt wohl immer zwei Wahrheiten).

Tatsächlich begleitet er mich auf dem Weg, den ich nun das dritte Mal nehme am heutigen Tag. Auch das Wort „Begleitung“ lässt sich verschiedentlich interpretieren.

Hier: In zwei Meter Abstand läuft einer/ eine hinter dem Anderen /der Anderen her.

Auch „laufen“ ist nicht das Wort; setzte eine bestimmte Geschwindigkeit voraus. Auch „schlendern“ nicht; beinhaltet eine gewisse Form von Gelassenheit. „Gehen“ – das ist es wohl, klingt komplett neutral.

Ich fühl mich wie in einem Sketch von Loriot – altes leicht vergrätztes Ehepaar, brummel brummel Zwangsgemeinschaft schlurf – lasst euch doch scheiden – „Winter adé! Scheiden tut weh.“ Winter adé ist eh noch lange nicht Und ich will hier nicht ab- und woanders hinschweifen. Während die Augen das sowieso nicht tun und schon Schlüssel gesichtet werden, wo gar keine sind. Noch eine Straße lang, noch eine Kurve. Und: Game lost. Wenn auch nicht Game over. Die Haustür ist angelehnt. Ich geh mal hoch. Was willst du da? Gucken.

Wie wär’s mit Sesam öffne dich oder anderen oder noch anderen Wahrscheinlichkeiten. Da ist sie: Meine Wohnungstür. Geschlossen. Definitiv. Abgeschlossen. 2 Mal oben.

2 mal unten. Ich schaue durch den Briefkastenschlitz (heißt, es gibt einen), um meine Qualen zu erhöhen. Gut, meine Liebe. (Man muss auch nett zu sich sein können; gerade in solch niederträchtigen [selbst verschuldeten] Situationen. Das hat Größe).

Ich klingele beim Nachbarn. Der ist da. Schildere meine Lage, frage ihn, ob er die Nummer des Hausmeisters hat, er ruft freundlicherweise dort an. Hat der Hausmeister einen Zweitschlüssel? Hat er nicht. Ok, war ein Versuch.

Vor der Haustür wartet immer noch mein Freund. Ich dachte, er wäre schon gegangen. Kommunikation ist ja grad nicht so. Wir gehen zurück. Er sagt, mit dieser Loriot-altes-Ehepaar-Stimme: „Willst du wieder so langsam hier lang trödeln?“ Wenig subtil.

Antwortmöglichkeiten: 1.Ja, ich will! Ich liebe es, müde, frierend, missgelaunt, so langsam hier entlang zu trödeln. 2. Nein, ich will nicht langsam hier entlang trödeln, aber ich tue es trotzdem, weil ich meine masochistischen Bedürfnisse befriedigen will.

Tatsächliche Antwort: Kannst ja auch schneller gehn.

Mach ich auch“. Mein Freund läuft also los, ich seh ihn bald hundert Meter vor mir. Aus zwei Meter Entfernung wurden hundert über den Tag, kann nur besser werden. Bei ihm zu Haus, er Frühstück, ich Tee, er „Schlüsseldienst“, ich „mal sehn“.

Dann frage ich ihn nach irgendwelchen längeren Stangen oder ähnlichem. Schließlich überlässt er mir seine „XXL Wunderkerzen“, die für Sylvester gedacht waren, ich nehme sie alle mit, verschiedenes Werkzeug und erneut – Fahrrad ist noch da! – das fünfte Mal an diesem Tag, die Strecke von seiner Wohnung zu meiner. ….

Ich habe einen Briefkastenschlitz in der Wohnungstür, das ist der Gedanke. Zunächst biege ich die innenliegende Abdeckung des Briefkastenschlitzes auf, das geht schon mal ganz gut, leichtes Metall. Zack, kaputt. Und – ich sehe meinen Zweitschlüssel! Hängend an einem Haken, knapp zwei Meter über dem Boden, neben der Badezimmertür. Ich sehe ihn. Das ist Freude und Qual zugleich. Klebe die „XXL Wunderkerzen“ aneinander, stecke sie durch den Briefkastenschlitz, meine Hand so weit wie möglich mit hinein; das ist nicht besonders weit. Die aneinandergeklebten Wunderkerzen schwingen schwanken wie Fähnlein im Wind, wie ein betrunkener Seemann. Zu dünn. Berühren den Haken, berühren den Schlüssel nach etwa 2 Stunden, ich höre ihn. Die Hände voll mit „XXL Wunderkerzen“ – Staub, grau und sicher ganz gesund wie Biohandcreme. Der Flur vor meiner Wohnungstür sieht auch nicht mehr so reinlich aus. Es kommt ein Nachbar, „kann ich helfen?“ Nee, danke, sehr nett. Das heißt, wenn sie´s schaffen, in meine Wohnung einzubrechen – bitte, nur zu.

 

…. Zweiter Teil folgt … ja …  Vorfreude auf nächste Woche steigern ..